Innovation Hubs
Kreative Frischzellenkur für Konzernstrukturen
Konzern und Innovation - das ist wie alt und jung. Die Struktur per se erschwert es Konzernen, innovative Prozesse flott umzusetzen. Unmöglich ist es aber nicht. Die Idee des Innovation Hubs ist eine Verjüngungskur für starre Systeme.
Digitale Märkte sind volatil – Innovationen ändern abrupt die Spielregeln. Dies fordert besonders Konzerne heraus, denen ein eigenes Potenzial zur Entwicklung von disruptiver Kreativität und dazu eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit fehlen. Nicht selten bekämpfen Selbsterhaltungsmechanismen von Konzernstrukturen auch internes Innovationspotenzial. Gleichwohl gibt es Erfolgsgeschichten: In der Praxis kommt es in Konzernen immer wieder zu Konstellationen, in denen übersichtliche Teams in kurzer Zeit eine immense Innovationskraft entfalten. Diese organisationalen Strukturen sind häufig informell geprägt, divers besetzt und operieren zu einem gewissen Grad an der Hierarchie vorbei – ähnlich wie ein Start-up. Wir haben unsere Erfahrungen mit innovationsstarken Konzernzellen zu einem organisatorischen Prototyp verdichtet. Wir nennen ihn Innovation Hub. Der Innovation Hub stellt eine Anleitung dar, wie Keimzellen disruptiver Innovationskraft in Konzernstrukturen integriert werden können. Das ist neu und nicht einfach – aber gibt es eine Alternative zu Innovation?
Der Innovation Hub
Ein Innovation Hub ist eine kleine unabhängige Organisation, die einerseits aus speziell selektierten festen und andererseits aus hoch spezialisierten, temporären externen Arbeitskräften besteht. Dieses interdisziplinäre Team wird jeweils für einen kurzen, intensiven Zeitraum mit einer Innovationsherausforderung eines Konzerns betraut. Der Hub bleibt dem Konzern exklusiv verbunden, bleibt aber weitgehend unabhängig. Somit kann der Innovation Hub kosteneffizient neue Themenfelder erkunden (siehe Abbildungen 1 und 2).
Abbildung 1
Struktur des Innovation Hubs
Ein Innovation Hub ist eine kleine unabhängige Organisation, die einerseits aus speziell selektierten, festen und andererseits aus hoch spezialisierten, temporären, externen Arbeitskräften besteht.
Der Hub muss mittels des Core-Teams reibungslos mit der internen Konzernstruktur kommunizieren können, sollte aber einem Start-up so ähnlich wie möglich bleiben. Hierzu muss ein Innovation Hub eine zu große Einflussnahme seitens des Konzerns von sich fernhalten. Dies wird durch vier wichtige Grundkriterien eines Innovation Hubs möglich:
Abbildung 2
Team eines Innovation Hubs
Eine besondere Bedeutung kommt dem Regisseur, dem Leiter des Innovation Hubs, zu. Neben einem sicheren Grundverständnis für Business und Markt sind hervorragende kommunikative und soziale Skills ein Muss.
- Unabhängigkeit: Besetzung aller Funktionen mit Kandidaten ohne Konzernnetzwerk oder persönlichen internen Verpflichtungen. Auch die Rechtsform des Hubs macht ihn weitgehend konzernunabhängig.
- Starkes Sponsorship des Topmanagements: Ein Innovation Hub muss immer Chefsache sein und steht unter dem Schutz der Konzernleitung.
- Räumliches Setting: Der Hub muss örtlich vom Konzerncampus separiert werden. Untereinander arbeitet das Hub-Team direkt kommunizierend in einem Raum.
- Kompetenzbasiertes Sourcing: Die Freiheit und die Fähigkeit, führende Fachleute zu selektieren, die für ein Projekt Teil des Hubs werden. Der im Hub geschaffene Freiraum ermöglicht eine kreative, integrative und interdisziplinäre Herangehensweise. Die Praxis, sich temporär Spezialisten einzukaufen, ist dem üblichen Verfahren von Anbieter-Pitches mit Dienstleisterunternehmen deutlich überlegen. Bei einem klassischen Pitch wird die fachliche Qualifikation oft nicht zum ausschlaggebenden Entscheidungskriterium. Um den Innovation Hub unabhängig zu machen, sollte er in einer unabhängigen Form organisiert sein. Hier bietet sich eine vom Konzern unabhängige Rechtsform als Kleinunternehmen an. Ein weiteres Zeichen in Richtung Unabhängigkeit ist die zeitliche Befristung der Organisation auf zwei Jahre – mit einer Option auf Verlängerung. Auf diese Weise werden die Akteure nicht zu Konzernmitarbeitern mit konzerntypischen Karrierestrategien.
Freie Arbeitskultur
Durch eine radikale Vereinfachung und Intensivierung der Arbeitsbeziehungen aller Beteiligten maximiert ein Innovation Hub Effizienz und Synergieeffekte. Einfache Mittel wie das gemeinsame Arbeiten in einem Raum und stete persönliche Erreichbarkeit fördern eine produktive Teamarbeit. Die personelle Zusammensetzung des Innovation Hubs muss idealerweise so unabhängig, hungrig und vielseitig sein wie die eines Start-up. Der Hub wird für jedes Projekt beziehungsweise jede Kreationsphase ein Thinktank aus idealerweise maximal sieben Personen. Die Grundprämisse eines Projekts im Innovation Hub ist, dass es vom Ergebnis so offen wie möglich und von der Aufgabe jedoch so zugespitzt wie möglich angesetzt sein sollte.
Wo die Konzernkultur ausgeschlossen wird, muss eine neue Kultur geschaffen werden: Ein wichtiger Grundstein dieses freien Kreativ-Biotops wird durch ein Mission Statement gesetzt, welches fordert, dass alle Experten ihr Spezialwissen der gemeinsamen Aufgabe voll unterordnen.
Der Regisseur als Leiter
Eine besondere Bedeutung kommt dem Regisseur, dem Leiter des Innovation Hubs, zu. Neben einem sicheren Grundverständnis für Business und Markt sind hervorragende kommunikative und soziale Skills ein Muss. In dieser zentralen Funktion liegen drei elementare Verantwortlichkeiten:
- Er ist die Persönlichkeit, welche die Konzernkompatibilität der erarbeiteten Lösungen und die funktionierende Kommunikation mit allen Levels des Konzernmanagements sicherstellen muss.
- Der Regisseur verantwortet die Akquise wirklich exzellenter Einzelexperten. Hierzu sind überdurchschnittliche Netzwerkfähigkeiten sowie Verhandlungsgeschick notwendig.
- Der Regisseur stellt als Moderator sicher, dass der freien Arbeitskultur des Innovation Hubs keine teaminternen oder konzernbedingten Hindernisse im Wege stehen.
Offene und egalitäre Kommunikation
Das Klima im Team berührt die Essenz des Innovation Hubs: Individualität, Begeisterungsfähigkeit und Motivation aller Mitglieder sind die wichtigste Ressource. Offene und egalitäre Kommunikation soll eingefahrene Denkstrukturen aushebeln. Indem auf diese Weise alle Teammitglieder zum Koautor der Lösung werden, kommen Konfiktpotenziale und Dissonanzen frühzeitig zum Vorschein. Sie müssen vom Regisseur und den Teammitgliedern in Echtzeit gelöst werden. Konflikte sind hier keine vermeidbaren Unfälle sondern Indikatoren von Offenheit: Die Qualität des Outputs steigt mit der Anzahl der bewältigten interpersonellen Konflikte. Gezielt geht so der Innovation Hub das kalkulierte Risiko persönlicher Stresssituationen ein, um das Potenzial schneller und überdurchschnittlicher Ergebnisse freizusetzen. Auf diese Weise entsteht eine enorme Dynamik im Team und damit im Projekt – die so innerhalb einer größeren Organisation kaum reproduzierbar ist. Der Innovation Hub wird zu einem mächtigen Wettbewerbsvorteil.
Biotop für innovative Arbeitsprozesse
Innovation Hubs schaffen einen Freiraum für moderne Arbeits- und Kommunikationstechniken. Populäre und erfolgreiche Beispiele für solche Arbeitsweisen sind „Design Thinking“ oder „Scrum“. In Innovation Hubs können diese oder andere Methoden zu wichtigen Tools der Projektorganisation werden. Sowohl Design Thin.king als auch Scrum schöpfen ihren Wert aus einer gelebten Kultur des Miteinanders, die nicht wesentlich auf Hierarchie beruhen kann. Beide Arbeitsweisen verbinden Gemeinsamkeiten, die für einen Innovation Hub besonders wichtig sind:
- Vertrauen in die Lösungskompetenz des Teams anstelle einer administrierten Vorgehensweise.
- Fokus auf iterative Verbesserungen und schrittweise Annäherung an das Endergebnis anstelle einer kompletten Planung des Projekts vor dem Start.
- Verständnis des Mehrwerts aus der Perspektive der Kunden/Nutzer anstelle einer Perspektive des Unternehmensprofits oder der Konzernhierarchie.
- Einsicht, dass nicht nur das Fachwissen, sondern die Mischung diverser Aspekte, zum Beispiel Selbstmanagement, Kreativität und soziale Kompetenz, Erfolg beziehungsweise Wertschöpfung ermöglichen.
Gibt es eine Alternative zu Innovation?
Was liefert ein Innovation Hub dem Konzern? Anders als bei Start-ups ist das Ziel nicht die Erarbeitung eines „minimal viable products“ zum frühmöglichsten Test auf dem Markt. Der Hub entwickelt hingegen einen „minimal viable prototype“, dessen Praxisrelevanz so schnell wie möglich vom Konzernmanagement eingeschätzt wird. Eine Innovation muss im Hub lediglich so stark entwickelt werden, dass sie konzernrelevant wird – er ersetzt somit keinesfalls eine Entwicklungsabteilung. Für die Organisation und Administration großer Mengen von Mitarbeitern, Prozessen und Ressourcen sind starke Strukturen notwendig. Derartig rigide Strukturen machen Konzernen aber eine Reaktion auf disruptive Innovationen digitalisierter Märkte schwer. Die Lösung muss daher die gegebenen Strukturen zunächst weitgehend umgehen, um sie später an der richtigen Stelle wieder einzubeziehen. Ein Innovation Hub ist letztlich eine begrenzte und kontrollierte Strukturschwäche, die ein Konzern vor den Auswirkungen der eigenen Überstrukturiertheit schützt. Die Gratwanderung des Hubs zwischen Konzernkompatibilität und Start-up-Feeling bringt natürlich Risiken und Unwägbarkeiten mit sich. Hier beruhigt aber der Blick auf die Alternativen, die sich einem Konzern mit Innovationsdefizit stellen: a) keine Veränderung ist keine Option, b) disruptive Innovationskraft aus den üblichen Konzernstrukturen – dieser Weg ist häufig bereits mit mäßigem Erfolg beschritten worden, c) kreatives Chaos ohne feste Regeln und Begrenzungen – als maximal riskante Alternative scheidet sie in den meisten Organisationen ebenfalls aus. Vor diesem Hintergrund erscheint uns der Mut, den ein Unternehmen zur Errichtung eines Innovation Hubs aufbringen muss, begrenzt. Es geht bei der Etablierung eines Hubs eher darum, eine gewis.se Toleranz salonfähig zu machen und gewohnte Muster inkrementeller Innovationskultur zurückzustellen. Hier ist das Engagement des Topmanagements gefragt: Es muss klare Spielregeln für den Innovation Hub sicherstellen. Das Management muss eine neuartige strukturelle Plattform verwalten, die zunächst weder intern noch extern ist – hiermit betritt man Neuland. Verpasst die Konzernleitung aber diese Chance, entsteht die benötigte Innovation vielleicht irgendwo anders – außerhalb ihres Einflussbereichs. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Entwicklung der Märkte hin zu mehr Komplexität stoppt. Damit werden auch die Unsicherheiten, denen sich große Konzerne gegenüber sehen, tendenziell wachsen. Ein Konstrukt wie ein Innovation Hub ist daher kein exotischer Luxus, sondern eines von vielen notwendigen Mitteln zur Reaktion auf eine volatile Umwelt.
Die Autoren
Oliver Viel, Consultant für Branding & Marketing, www.oliverviel.com
Georg Boch, Account Manager bei SIRUP
Dieser Artikel erschien in der Fachzeitschrift Personalwirtschaft, Ausgabe 09/2016